Als die 4. Sinfonie von Jean Sibelius 1911 in Helsinki zur Uraufführung kam, sorgte sie für erhebliche Irritationen. «Auf die Zuschauer wirkte die 4. Sinfonie wie ein Schock», erinnerten sich Zeitzeugen, «dieses asketische, karge Werk blieb unbegreiflich.» Einen «Stilwechsel» hatte Jean Sibelius selbst angekündigt, freilich nur in seinem Tagebuch und auch da mit Fragezeichen in Form einer Selbstvergewisserung. Offenbar hatten seine Begegnungen mit der Musik der Moderne – Debussy, Mahler und Schönberg, – die er seit der Dritten gemacht hatte, Spuren hinterlassen.
Zum Auslöser für das neue Werk wurde ein Ausflug nach Nordkarelien im Herbst. «Einer der grössten Eindrücke meines Lebens», notierte Sibelius nach Besteigung des Berges Koli, und: «Pläne». Direkt im Anschluss entstanden Skizzen zu einer Tondichtung mit dem Titel «La Montagne», die dann aber in die Sinfonie eingingen; auch ein unvollendetes Orchesterlied nach Poes «The Raven» lieferte Material.
Entscheidender als diese Bezüge zu Natur und Poesie, zu Aussermusikalischem also, sind die neuen kompositorischen Massnahmen, die es erlauben, von einem Stilwechsel zu sprechen. In der Vierten arbeitet Sibelius nicht mehr mit Themen, sondern mit kurzen Motiven, die er ständig variiert und fortentwickelt; mit einem Zentralintervall, dem Tritonus, der sämtliche Sätze prägt; sowie mit tonalitätssprengenden Elementen wie Ganztonleitern oder Bitonalität. Kein Wunder, dass es diese «vergeistigte» (Sibelius) Musik schwer bei den Zeitgenossen hatte. Heute gilt die Vierte als herausragendes Beispiel für einen individuellen sinfonischen Beitrag an der Schwelle zur Moderne.